
Forschendes Lernen
Kompetenzerwerb durch eigene Forschung
Der Kern des Forschenden Lernens liegt darin, Studierende aktiv in die Forschung einzubeziehen, sie eigenständig an Forschungsfragen arbeiten zu lassen und damit den Kompetenzerwerb auf mehreren Ebenen zu fördern.

Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das hochschuldidaktische Prinzip des Forschenden Lernens ist kein neues Konzept: Bereits in den 1970er Jahren wurde es durch die Bundesassistentenkonferenz während der Modernisierung der deutschen Hochschulen in den Fokus genommen und weiterentwickelt. Im Zuge der Bologna-Reform rückte das Forschende Lernen dann wieder verstärkt in den Fokus, heute zeichnet sich fächerübergreifend ein verstärktes Maß an neuen Lehr-Lern-Formen ab. Dies erklärt sich auch durch die veränderten Anforderungen an Absolventen/innen, wie es im folgenden Zitat des Wissenschaftsrats deutlich wird:
„Vor dem Hintergrund veränderter Qualifikations- und Kompetenzprofile bedarf es veränderter Lehr-und Lernformen, die problem- und handlungsorientiertes Lernen fördern.“ (Wissenschaftsrat 2000)
Dieses problem- und handlungsorientierte Lernen ist der Kern des Konzepts des Forschenden Lernens und stellt eine Möglichkeit dar, die veränderten Kompetenzprofile in der Lehre zu berücksichtigen und auf verschiedenen Ebenen zu fördern.
Was ist „Forschendes Lernen“?
Wir beziehen uns auf die Definition des Forschenden Lernens von Ludwig Huber:
„Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lehrformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, dass auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen – von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung in selbstständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt – (mit)gestalten, erfahren und reflektieren.“ (Huber 2014)
Zentral sind dabei folgende Aspekte:
- das selbstständige Arbeiten der Studierenden;
- Das Forschungsvorhaben, welches auch für Dritte interessante Erkenntnisse liefert;
- der vollständige Durchlauf des Forschungszyklus in seinen wesentlichen Phasen.
Einen allgemeinen Orientierungsrahmen für diesen Forschungszyklus zeigt die folgende Abbildung nach Huber. In der fachspezifischen Praxis muss der Forschungszyklus entsprechend der Fachkultur angepasst werden.
Schematische Grafik zum Ablauf des Forschenden Lernens. Quelle: Sonntag et al. 2016.
In Abgrenzung zum Forschenden Lernen stehen für Huber „Forschungsbasiertes Lernen“ sowie „Forschungsorientiertes Lernen“. Beide sind ebenfalls effektive Lernformen, grenzen sich aber vom Forschenden Lernen durch den Anteil selbstständigen Arbeitens seitens der Studierenden beim Durchlaufen des Forschungszyklus ab.
Forschungsbasiertes Lernen | Forschungsorientiertes Lernen | Forschendes Lernen | |
---|---|---|---|
Bezug zum Forschungszyklus | Ausgangsfragen von Forschungen: Probleme, Definitionen und theoretische Ansätze | Vorbereitung auf Forschung als Prozess: Annahmen, Design, Wahl, Aneignung, Reflexion von Methoden, Forschungsplan und -organisation | Forschen als eigenes Tun der Studierenden: Entdeckung von Problemen, eigenen Fragen, Präsentation von Ergebnissen für Dritte |
Lehre | Direkte Instruktion oder Selbstinstruktion, Vorführungen beispielhafter Projekte, theoretische Diskussion | Analyse von Projekten, Methodenkurse, Lehrforschung, Mitarbeit in Projekten, Simulationen | Spektrum aller Lernsituationen (z.B. Vorlesungen, Übungen, Projekte) |
Kompetenzerwerb | Wissenschaftliches Arbeiten, kritisches Denken, Urteilsfähigkeit, Kommunikation | Wissenschaftliches Arbeiten, kritisches Denken, Urteilsfähigkeit, Kommunikation, Methoden- & Planungskompetenz | Fach- und übergreifende Kompetenzen möglich |
Rolle der Lehrperson
Die Herausforderung für Lehrende besteht vor allem darin, die Studierenden in ihrem Lernprozess zu begleiten und gleichzeitig deren Selbstständigkeit zu wahren. Die Rolle des oder der Lehrenden ist daher eine eher zurückgenommene; stattdessen agiert die Lehrperson in diesem Konzept in einer impulsgebenden und beratenden Rolle. Hierbei kann der Forschungszyklus als Strukturierungshilfe und Reflexionsschablone herangezogen werden. Es kann zunächst überprüft werden, wie der fachspezifische Forschungszyklus aussieht und an welchen Stellen die Studierenden erfahrungsgemäß Unterstützung benötigen. Danach können der Modus und die Methodik der Begleitung beleuchtet werden:
- Welchen Input in welchem Umfang brauchen die Studierenden?
- Auf welche Art und Weise möchte ich den Input zur Verfügung stellen? Wann eignet sich der persönliche Vortrag besonders, wann sind eventuell auch zusätzliche Materialien für die Selbstlernphase z.B. auf einer Online-Plattform denkbar?
- Wann brauchen die Studierenden die Möglichkeit, sich in der Gruppe auszutauschen, um auch voneinander zu lernen? Wann gebe ich als Lehrperson Feedback auch in Hinblick zur Vorbereitung auf die Prüfungsleistung?
- Wann brauchen die Studierendengruppen individuelle Beratung (z. B. in Sprechstunden)?
Formen des Forschenden Lernens nach Huber
Wie in der folgenden Auflistung (zitiert nach Huber 2009) deutlich wird, sind je nach Fachdisziplin verschiedene Formen der Bearbeitung einer Forschungsfrage in das Konzept integrierbar:- „Recherche und Essay (Exposé): Auffinden, Strukturieren und kritische Diskussion der erreichbaren Informationen; Problemfindung, -definition; Hypothesenbildung
- Komplexe Laboraufgaben mit Offenheit der Ergebnisse, nicht nur der einen richtigen Lösung (open end labs);
- Untersuchung einzelner konkreter Problemfälle und Fallstudien, dem Ansatz des problem based or case oriented learning folgend;
- Exkursionen, field studies;
- Erprobung von Methoden „im Kleinen“ an noch nicht untersuchten Problemen: „Lehrforschung“;
- Hospitationen oder Volontariate, phasenweise, in Forschungs- oder Konstruktionslaboren, evtl. mit vorbereiteten Beobachtungsaufgaben (auch unter Umständen als Hilfskrafttätigkeit) […]
- Plan- und andere Simulationsspiele;
- Projektstudien in unterschiedlichster Größenordnung;
- eigene Untersuchungen („thesis“)“
Präsentation der Ergebnisse
Die vorletzte Phase des Forschenden Lernens „Erarbeitung und Präsentation der Ergebnisse“ ist von besonderer Bedeutung. Studierende sollen gemäß des Konzepts des Forschenden Lernens als Forscherinnen und Forscher ernst genommen werden und alle wesentlichen Phasen des Forschungszyklus durchlaufen. Zu einer forschenden Tätigkeit gehört auch, die Ergebnisse zu veröffentlichen und mit der Wissenschaftscommunity zu diskutieren. Insbesondere, da die Forschung nach der Definition von Huber im besten Fall auch „auf die Gewinnung von auch für Dritte interessanten Erkenntnissen“ abzielt. Hier sind verschiedene Szenarien denkbar:
- Veranstaltung eines Symposiums / einer Tagung / einer Poster-Präsentation, zu der weitere Lehrende des Instituts, Studierende und eventuell Praxispartner eingeladen werden
- Veröffentlichung der schriftlichen Ergebnisse online auf einer Plattform, Blog, Institutswebsite o. Ä.
- Herausgabe eines gemeinsamen Paper-Sammelbands durch Studierende
Neben der eigenen Organisation können Lehrende ihre Studierenden auch ermuntern, gemeinsam zu einer Konferenz zu fahren oder an studentischen Konferenzen teilzunehmen. Diese finden in Deutschland jährlich an wechselnden Standorten statt, im Jahr 2019 beispielsweise an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Reflexion des gesamten Prozesses
Nachdem die Ergebnisse präsentiert oder veröffentlicht wurden, sollte die Lehrperson Raum für Reflexion des gesamten Prozesses und der Ergebnisse geben. Die Erkenntnisse, die die Studierenden in ihrer Forschungstätigkeit gewonnen haben, können zum Beispiel in einer Abschlusssitzung oder auch anschließend an die Ergebnispräsentationen diskutiert werden. Zum Abschluss kann den Studierenden verdeutlicht werden, dass Forschung als Prozess zu betrachten ist und dass aus einer abgeschlossenen Forschungsarbeit neue, weiterführende Forschungsthemen abgeleitet werden können. Die gemeinsame Suche nach weiterführenden Forschungsfragen schließt den Forschungszyklus und kann die Studierenden motivieren, ihre Forschungstätigkeit nach der Veranstaltung fortzusetzen.
Quellen und Literaturangaben
Huber, Ludwig (2014): Forschungsbasiertes, Forschungsorientiertes, Forschendes Lernen: Alles dasselbe? Ein Plädoyer für eine Verständigung über Begriffe und Entscheidungen im Feld forschungsnahen Lehrens und Lernens. In: Das Hochschulwesen 62 (1+2), S. 32–39.
Huber, Ludwig (2009): Warum Forschendes Lernen nötig und möglich ist. In: Ludwig Huber, Julia Hellmer und Friederike Schneider (Hg.): Forschendes Lernen im Studium. Bielefeld: Universitätsverlag Webler, S. 9–35.
Kergel, David; Heidkamp-Kergel, Birte (2019): Didaktik des forschenden Lernens – handlungspragmatische Überlegungen. In: Dirk Jahn, Alessandra Kenner, David Kergel und Birte Heidkamp-Kergel (Hg.): Kritische Hochschullehre. Impulse für eine innovative Lehr- und Lernkultur. Wiesbaden, Germany: Springer VS (Research).
Hochschulrektorenkonferenz (2015): Forschendes Lernen (nexus impulse für die Praxis, 8). Online verfügbar unter https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Downloads/07-02-Publikationen/impuls_Forschendes_Lernen.pdf, zuletzt geprüft am 18.10.2019.
Sonntag, Monika; Rueß, Julia; Ebert, Carola; Friederici, Kathrin; Schilow, Laura; Deicke, Wolfgang (2016): Forschendes Lernen im Seminar. Ein Leitfaden für Lehrende. Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin (Neue Lehre – neues Lernen).
Wissenschaftsrat (2000): Empfehlungen zur Einführung neuer Studienstrukturen und -abschlüsse. Online verfügbar unter https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4418-00.pdf, zuletzt geprüft am 18.10.2019.
Bild: Daniel Götjen, Team Lehre und Medienbildung/TU Braunschweig
Grafik: Team Lehre und Medienbildung/TU Braunschweig
Video: Leuphana/YouTube